Jetzt erst Recht! Die Welt brennt – und wir trinken Glühwein

Während das Personal des Detailhandels sich unter miserablen Arbeitsbedingungen in der Weihnachtszeit kaputt arbeitet, soll das Konsumspektakel in Bern ohne sogenannte Störungen vonstatten gehen. Der rot-grün dominierte Gemeinderat hat entschieden, seinem Vorzeigebösewicht Reto Nause einen Traum zu erfüllen und verbietet alle Demonstrationen vom 17. November bis Weihnachten. Ein Demoverbot, das unserer Meinung nach keine rechtliche Grundlage hat. Der Zeitraum von fünf Wochen entbehrt jeder Verhältnismässigkeit – das Demoverbot ist ein unzulässiger Einschnitt in unsere Grundrechte. Dagegen müssen wir ankämpfen – jetzt erst Recht.

Einlullende Lichtshows, der pompöse Staatsbesuch eines repressiven Neoliberalen und Weihnachtsmärkte mit überteuertem, schlechtem Glühwein haben in dieser Stadt mehr Gewicht als demokratische Grundrechte. Die schönsten Träume aller Kapitalist*innen werden in einer links regierten Stadt wahr. Demokratische Grundrechte, wie das Recht auf freie Meinungsäusserung, müssen dem Konsum zuliebe zurückstecken. Doch scheinbar sollen wir auch bei Macron’s Staatsbesuch schweigen. Macron, welcher in Zeiten des erstarkenden Faschismus nichts besseres weiss, als unsere antifaschistischen Freund*innen von der GALE zu verbieten. Der selbe Macron, welcher Protesten von Millionen von Menschen mit roher Gewalt begegnet ist, um seine neoliberale Agenda durchzudrücken. Marcons Polizei schiesst unter anderem mit Schweizer Waffen auf seine eigene Bevölkerung. Grund genug, auf die Strasse zu gehen – doch geht es nach der Stadt Bern sollen wir uns stattdessen lieber mit Glühwein betrinken.

All dies in einer Zeit, in der die Welt brennt. Eine Welt geplagt von Krieg, Repression, Inflation und Unterdrückung. In der Ukraine dauert der russische Angriffskrieg weiter an. In der Schweiz wird von allen Seiten der Aufenthalt ukrainischer Geflüchteter zunehmend kritisiert und in Frage gestellt. Die Schutzkontrolle von korrekten Arbeitsverträgen soll wegfallen und Geflüchtete sollen ihre Arbeitskraft zu miserablen Löhnen und Arbeitsbedingungen hergeben müssen. Ausbeutung und Zwangsarbeit ist das einzige, was die Schweiz den Schutzsuchenden dieser Welt bieten will.

In Israel und Palästina werden nach dem schrecklichen Massaker der Hamas am 7. Oktober hunderttausende Menschen aus Gaza in die Flucht getrieben. Der Krieg zählt über 10’000 Opfer, davon die grosse Mehrheit Palästinenser*innen. Grosse Teile Gaza Stadts sind zerstört. In der Westbank vertreiben rechtsextreme Siedlerinnen gewaltsam Palästinenser*innen aus ihren Dörfern. Hierzulande kommt es wieder vermehrt zu antisemitischen Sprayereien, Hetze und Bedrohungen. Ebenfalls nimmt der Rassismus gegen Muslim*innen stark zu. Friedens- und Waffenstillstandsapelle werden in der Kriegsgeilheit einzelner Meinungsmacherinnen abgeschmettert. Im Schatten davon zerbombt der NATO-Partner Türkei unter dem Regime Erdogans Rojava. Der Krieg der „niederen Intensität“ hat in den letzten Wochen massiv zugenommen. Grosse Teile der Infrastruktur Rojavas wurden zerstört. Daneben töten Drohnen beinahe täglich Repräsentant*innen der Revolution. Zudem verwendet Erdogans Armee im Kampf gegen die PKK in Südkurdistan Giftgas. Der NATO-Partner Türkei muss trotzdem keine Kritik fürchten. Unter Stillschweigen aller tötet und vertreibt er Kurd*innen und Armenier*innen. Auch im Sudan werden die Auseinandersetzungen zunehmend brutaler und tausende von Menschen werden zur Flucht gezwungen. Unsere zapatistischen Freund*innen in Chiapas werden wieder bedroht und bedrängt vom mexikanischen Staat und Narco-Kartellen. In Panama erschoss ein US-Amerikaner zwei indigene Aktivisten, welche gegen ein riesiges Minenprojekt demonstrierten. Der Krieg in Äthiopien dauert an und die Opferzahlen steigen.

In der Schweiz wird gegen Winter die sich anbahnende kapitalistische Katastrophe immer offensichtlicher und auch hierzu sollen wir schweigen. Vermehrt werden wieder Menschen entlassen, alles wird teurer. Lebensnotwendigkeiten wie Miete, Heizen oder die Krankenkasse werden zum Luxus – und die Reichen werden reicher.

Gleichzeitig ist die Weihnachtszeit die Zeit im Jahr, in der patriarchale Gewalt zunimmt. Zum jetzigen Zeitpunkt zählen wir dieses Jahr 17 Feminizide, bis Weihnachten werden es mehr sein. Doch auch am 25. November, dem Aktionstag gegen patriarchale Gewalt, sollen wir lieber Schweigen statt auf die Strasse zu gehen und zu sagen: ni una menos!
Auch gegen die immer offensichtlicher werdende Klimakatastrophe sollen wir nicht auf die Strasse gehen. Obwohl es gerade zu zahlreichen Unwetterkatastrophen kommt. Obwohl erneut Berichte davor warnen, dass die Erderwärmung von 1,5.Grad, wohl sogar 2 Grad nicht mehr aufhaltbar ist. Obwohl eine kleine reiche Minderheit & Grosskonzerne für die Mehrheit der Emissionen verantwortlich sind, sollen wir schweigen und die Katastrophe hinnehmen. Gerade bei der Klimakatastrophe hat sich gezeigt, dass die parlamentarische Politik nicht gewillt ist, etwas zu ändern. Es bleibt nur, uns selbst zu organisieren und selber zu handeln.


So auch wenn es um den Abbau von Grundrechten geht: Gerade weil das Problem der Kapitalismus ist, dürfen wir uns nicht vorschreiben lassen wann wir auf die Strasse gehen und wann nicht, nur damit der Weihnachtsverkauf läuft und Ruhe herrscht. Dies dürfen wir nicht akzeptieren. Wie schon die Kämpfer*innen vor uns wissen wir: Wir warten nicht, bis uns das Recht auf Versammlungsfreiheit und die freie Meinungsäusserung grosszügigerweise von oben herab erlaubt wird – wir holen uns unsere Rechte selbst und wir lassen es uns nicht nehmen, unseren Unmut auf die Strasse zu tragen. Demonstrationen gehören unserer Meinung nach nicht erbittet, sie sind ein Grundrecht der Meinungsäusserung. Aber lieber Reto, betrachte diesen Text doch als Antrag auf eine mobile Popup-Bar und lass uns die Strasse.

Achtung: Die Anliegen, die wir trotz Demoverbot auf die Strasse tragen wollen, sind linke Anliegen. Verschwörungstheoretiker*innen, Aufrechte, Massvolle, Rechte und Faschos wollen wir – jetzt erst recht – nicht an unserer Demo sehen.