Nationale und soziale Unterdrückung und der instrumentalisierte Umgang mit der palästinensischen Frage

Über unsere Köpfe hinweg wird über uns entschieden
Während in Europa und den USA neue Kriegspläne geschmiedet und Konferenzen über die „Zukunft des Iran“ stattfinden, geraten die im Iran lebenden Nationen – die stets Opfer des globalen Imperialismus und der inneren Unterdrückung wurden– erneut an den Rand der politischen Diskussion. Auch dieses Mal wird, wie schon so oft zuvor, von oben über sie entschieden – ohne echte Beteiligung der unterdrückten Völker und der unteren Klassen. In jeder Bewegung, unabhängig davon, ob dieses Regime bleibt oder fällt, sind es erneut die nicht-persischen Nationen, Frauen, Arbeiter:innen und Randgruppen, die den höchsten Preis zahlen müssen.






Wir, die freiheitsliebenden Arbeiter:innen und Aktivist:innen, müssen vor dieser Entwicklung warnen. Denn jede Wechsel in den oberen Machtkreisen, die nicht das Selbstbestimmungsrecht der Völker anerkennt und die Klassenzwänge bricht, bedeutet nur eine Reproduktion der Unterdrückung in neuer Form.
Iran – Das Land der stummen Nationen
Entgegen dem gängigen Medienbild ist der Iran kein einheitliches Volk, sondern ein Vielvölkerstaat: Araber:innen, Kurd:innen, Belutsch:innen, Aserbaidschaner:innen, Turkmen:innen, Lor, Gilak und andere. Diese Nationen sind nicht nur sprachlich und kulturell entrechtet, sondern leben auch unter politischer Repression, ökonomischer Diskriminierung und institutioneller Ungleichheit.
Die nationale Unterdrückung im Iran ist keine Randerscheinung, sondern ein zentrales Fundament der bestehenden Diktatur. Die Unterdrückung der Sprache, Kultur und sogar des Namens dieser Nationen ist Ausdruck eines inneren Kolonialismus, der durch ein zentralistisches und künstlich geschaffenes Nationalstaatsmodell gefestigt wurde. Weder die Flagge der Islamischen Republik noch die der monarchistischen Opposition repräsentieren diese Völker. Beide sind Symbole der historischen Hegemonie der dominanten persischen Nation und ideologische Werkzeuge zur Auslöschung und Leugnung der anderen Nationen.
Palästina – Ideologisches Werkzeug oder Anliegen der Menschen?
Die entscheidende Frage lautet: Wie kann sich die Islamische Republik als Verteidigerin Palästinas darstellen, wenn in arabischsprachigen Städten wie Ahwaz Menschen verhaftet und unterdrückt werden, sobald sie die palästinensische Flagge bei regierungsunabhängigen Demonstrationen zeigen? Diese Widersprüchlichkeit zeigt: Für das iranische Regime ist Palästina kein humanitäres oder antikoloniales Anliegen, sondern ein propagandistisches und ideologisches Mittel zur eigenen Legitimation.
Als die Karawane „Qafila al-Sumud“ aus Tunesien Richtung Ägypten aufbrach, um symbolisch gegen die Besatzung zu protestieren, wurde sie von der ägyptischen Regierung mit fadenscheinigen Begründungen blockiert. Denn repressive Systeme – ob im Iran oder in Ägypten – wollen nicht, dass Palästina zur Sache der Befreiung der Unterdrückten wird. Sie haben diesen Konflikt den Menschen entreissen und ihn in einen Machtkampf zwischen Regierungen verwandelt.
Doch der Konflikt in Palästina ist ein Kampf zwischen Menschlichkeit und Barbarei. Ein Kampf gegen Besatzung, Kolonialismus, militärischen Kapitalismus, Rassismus und globalen wie lokalen Imperialismus. Er muss ein Kampf der unterdrückten Völker und Klassen gegen die unterdrückenden Mächte sein – und nicht ihr Werkzeug.

Was ist zu tun? Flaggen, Transparente und die Sprache des Widerstands
Wir müssen uns bewusst sein, wen wir mit unserer Solidarität unterstützen und an wessen Seite wir stehen. Vertreten wir ein Volk – oder ein Regime? Reproduzieren wir nicht ungewollt Herrschaft, wenn wir offizielle Flaggen hochhalten und Iran in Parolen glorifizieren?
Der Kontext Palästina ist ein anderer als der Kontext Iran: Die palästinensische Flagge ist die eines unterdrückten Volkes. Die Flagge der Islamischen Republik und der persisch-zentrierten Opposition hingegen repräsentieren nicht die im Iran lebenden unterdrückten Nationen, sondern die Mächtigen. Aus unserer Perspektive des Widerstands gegen Krieg und strukturelle Gewalt ist der symbolisch stärkste Akt nicht das Hissen der iranischen Flagge, sondern das Anfertigen von Transparenten, die unsere Position klar machen: Wir stehen an der Seite der Menschen und der Völker – nicht an der Seite unterdrückerischer Machtstrukturen.
Solche Aktionen drücken nicht nur unsere Solidarität mit Palästina aus, sondern sind gleichzeitig ein notwendiger Protest gegen nationale und soziale Unterdrückung im Iran.
Wir müssen unsere eigenen Werkzeuge nutzen, um die Stimmen der unterdrückten Völker hörbar zu machen. Das Schreiben von Transparenten und anstimmen von Parolen sind wirksamere Mittel, die uns als Menschen aus unterdrückten Nationen im Iran an die Seite aller unterdrückten Völker der Welt stellen – und nicht an die Seite der Regime, die uns im Namen der Unterstützung unterdrücken. Wir erklären so unsere Solidarität mit Palästina – und gleichzeitig, dass auch wir selbst unterdrückt sind und keine Repräsentant*innen eines Regimes sind, das nur vorgibt, Palästina zu unterstützen.
Fazit: Ein Kampf an mehreren Fronten
Im Kampf gegen den globalen Imperialismus müssen wir auch den internen Imperialismus bekämpfen. Echte Solidarität mit Palästina führt über die Solidarität mit den unterdrückten Völkern im Iran. Man kann nicht ein Volk verteidigen und ein anderes ignorieren. Wir sind nicht frei, bis alle frei sind!
In einer Welt voller ideologischer Lügen müssen Flaggen mit Bedacht und Bewusstsein gehisst werden. Eine Flagge, die nicht die unterdrückten Klassen und Völker repräsentiert, trägt – selbst wenn sie die „richtigen“ Farben hat – eine falsche Bedeutung.
Deshalb stehen wir nicht an der Seite staatlicher Strukturen, sondern an der Seite von Menschen, Völkern und unterdrückten Klassen. Wir hissen die palästinensische Flagge – nicht im Namen des iranischen Staates, sondern im Namen von Ahwaz, im Namen der belutschischen Frau, des kurdischen Arbeiters, der aserbaidschanischen Lehrerin und den arabischen Jugendlichen, die selbst unterdrückt sind und den Ruf des palästinensischen Volkes in sich tragen.
Text von Meytham Alemahdi, einem revolutionären, arabischen Arbeiter aus dem Iran.





