Am 9. November 2024 kamen über 130 Menschen zusammen, um dem Tod von Holger Meins zu gedenken und sich mit dem anhaltenden Töten der Staatsgewalt auseinanderzusetzen. Mit Karl-Heinz Dellwo und Gabriele (Ella) Rollnik zu Gast hatten wir die einzigartige Möglichkeit, gemeinsam in die Vergangenheit zu blicken und Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen. In diesem Beitrag findet sich ein Rückblick, die Audioaufnahme der Redebeiträge sowie deren Verschriftlichung.
Der Ansturm von 130 Menschen hat uns überwältigt – der bewaffnete Kampf, der Tod von Holger Meins, die Staatsgewalt, die Repression im Knast und ausserhalb beschäftigt uns auch 50 Jahre später.
Ella Rollnik und Karl-Heinz Dellwo nahmen uns mit in die Zeit, in der sie die Nachricht von Holger Meins Tod ereilte. Sie beschrieben die Zeit der Stadt-Guerilla in den europäischen Metropolen ganz im Zeichen von Ché Guevaras Leitsatz „Den Kampf ins Herz der Bestie tragen“ und die Zeit, in denen sich eine Solidaritätsbewegung zur Unterstützung der gefangenen RAF-Mitglieder in der Isolationsfolter bildete. In dieser Zeit ist die Nachricht von Holger Meins Tod zwar ein Schock, unerwartet jedoch nicht, wie Karl-Heinz Dellwo ausführte:
„Der Tod von Holger Meins nach 57 Hungerstreik Tagen war angekündigt, er war von
staatlicher Seite aus nicht nur erwartet, er war gewollt worden. Buback, so hatten wir
schmerzlich begriffen, hatte uns eine Leiche vor die Füße geworden, eine
Machtdemonstration, eine Arroganz und Selbstherrlichkeit, auch eine Verachtung, mit
der Drohung: »Wenn Ihr Euch nicht anpasst, löschen wir Euch aus«. Das war die Sprache des Faschismus.“
In diesem Faschismus ist der Tod von Holger Meins Teil der kapitalistischen Kriegsführung gegen alles, was sich der Unterwerfung verweigert. Wo stehen wir heute, 50 Jahre später? Die kapitalistische Kriegsführung geht weiter, der fortschreitende Faschismus ist zur Realität geworden, „der Kapitalismus ist global und totalitär geworden“. Man ist gewöhnt an die systematische Barbarei, mit denen das kapitalistische System 40’000 Menschen auf dem Mittelmeer und in Gaza tötet – wogegen die RAF einst kämpfte, ist längst Normalität. Und doch schliesst Ella Rollnik den Vortrag nicht ganz hoffnungslos auf die aktuelle Situation ab. Mit Blick auf die globale Arbeitsteilung, dessen Nord-Süd-Gefälle sie als nicht länger haltbar sieht, erkennt sie den Westen als Abstiegsgesellschaft und sieht in den Entwicklungsmöglichkeiten der Länder des Südens auch Chancen für die Linke:
„Die Linke müsste dieses Interregnum als Chance sehen, einen emanzipatorischen
Ausweg in eine neue Phase der Menschheit zu erkämpfen. Eine solche Vision muss
global sein, eine globale Perspektive eröffnen, die die ökonomische und soziale
Befreiung der Länder des Südens, der Mehrheit der Menschheit, mit einschließt.“
Die anschliessende Fragerunde beinhaltete ein breites Spektrum an Fragen, von einer Analyse der aktuellen Arbeitskämpfe und dem Stand des „totalitären Kapitalismus“ bis zur Verhaftung von Daniela Klette kamen viele interessante Themen auf. Besonders viel Interesse schien an der Knasterfahrung von Karl-Heinz Dellwo und Ella Rollnik zu bestehen – mit Blick auf die zunehmende Repression gegen Antifas, insbesondere im Rahmen der aktuellen Antifa Ost und Budapest Verfahren ist dies nicht erstaunlich.
Besonders eindrücklich hervorzuheben sind zwei Aussagen: bezüglich der mentalen Belastung des Knastes meinte Karl-Heinz Dellwo: „Der Knast darf nie zum Zuhause werden, dagegen muss man immer Widerstand leisten und man muss immer versuchen, im draussen weiterzuleben“. Ella Rollnik nahm uns mit in die Zeit ihrer ersten Haft. Zur Frage, inwiefern sie sich im Knast mit Genossinnen organisiert hatte, meinte sie: „Unser Interesse lag nicht daran, uns zu organisieren und gegen den Knast anzukämpfen – wir wollten ausbrechen.“ Genau das haben sie und ihre Genossinnen schlussendlich auch getan und uns bleibt angesichts der aktuellen Repression nur, uns von dieser Entschlossenheit inspirieren zu lassen.
Wir nehmen aus dem angeregten Abend mit: Lasst uns unseren Widerstand organisieren, solidarisch sein, Briefe in den Knast schreiben, uns nicht vereinzeln lassen, uns nicht unterwerfen. Der Kampf geht weiter.
Hier findest Du die Redebeiträge von Karl-Heinz Dellwo und Ella Rollnik als Textdatei und als Audiodatei:
Redebeiträge Karl-Heinz Dellwo und Ella Rollnik 9. November 2024