Für eine Veranstaltung in Zug zum Krieg gegen die Ukraine und der Rolle der Anarchist:innen darin konnten wir eine Sprachmitteilung eines anarchistischen Genossen von der Front organisieren. Diese wollen wir nun hier übersetzt und in schriftlicher Form zugänglich machen:
„Es wird wohl eine kurze Nachricht, denn eigentlich sind wir nicht in einer gemütlichen Lage, die uns erlaubt, solche Dinge zu tun. Mein Pseudonym ist Elia. Ich bin ein Anarchist aus Russland und nehme am militärischen Widerstand gegen Putins Invasion auf die Ukraine teil. Ich lebe nun mehrere Jahre in der Ukraine. Ich musste mein Heimatland aufgrund der starken Repression gegen Anarchist:innen verlassen. Nun bin ich Teil der östlichen Front in der Region Charkiv in der Nähe der Stadt Izjum. Über diese Stadt habt ihr womöglich gehört, weil hier eine Offensive stattfindet. Dieser Ort wurde kürzlich ziemlich berühmt, weil die ukrainischen Kräfte einige Erfolge gegen den Feind erzielen konnten. Ich nehme als Freiwilliger teil, bin also kein bezahlter Soldat. Freiwillige sind hier eine spezifische Art an Kämpfenden innerhalb der ukrainischen Streitkräfte. Wir erhalten keinen Lohn, haben dafür mehr Freiheiten. Wir könnten auch aufhören, sobald wir dies wollen.
Ich uns meine Genoss:innen kämpfen in der selben Einheit, aber es gibt verschiedene Gruppen von Genoss:innen, die in verschiedenen Einheiten in der gesamten Ukraine kämpfen. Wir glauben, dass es nicht nur legitim sondern auch wünschenswert und wichtig ist, an diesem Konflikt teil zu haben. Also was ist unsere Motivation?
Zunächst sehen wir diesen Konflikt nicht nur als einen einfachen Kampf zwischen zwei Staaten, wie manche Libertäre es manchmal darzustellen versuchen. Dies ist die Verteidigung der ukrainischen Gesellschaft gegen die Aggressionen eines wahrlich unterdrückerischen und imperialistischen Regimes. Putins Regime ist terroristisch und unterdrückerisch gegen die eigene Bevölkerung und all ihre Nachbaren – eigentlich nicht nur gegen die Nachbaren, denn es operiert auch in Syrien, Zentralafrika und an vielen weiteren Orte, welche es als Territorium der eigenen imperialistischen Interessen ansieht. Überall dort spielt es eine destruktive und unterdrückerische Rolle. Dies muss dabei beachtet werden.
Gegen dieses Regime müssen wir die Waffen ergreifen. Die Aggression kommt in ebenfalls in einer bewaffneten militärischen Form, also müssen wir sie direkt konfrontieren. Was womöglich wichtiger ist: Wenn wir irgend welche positiven gesellschaftlichen Veränderungen in dieser Region – Osteuropa, respektive in den post-sowjetischen Staaten, wollen, ist dies unvorstellbar ohne den Kollaps von Putins Regime. So ist dieses Regime auch zentral für all die autoritären und neoliberalen Regime in der Region. Es ist ein dramatischer Fehler, dieses als nicht neoliberal zu verstehen. Man denkt manchmal, auf der einen Seite seien die Neoliberalen, auf Putins Seite die Konservativen. Dem ist nicht so. Die Wirtschaftspolitik dieses Regimes entsprechen komplett dem Phänomen, welches wir als Neoliberalismus bezeichnen. Es ist gegen die Arbeiter:innen, gegen Qualität und sehr unterdrückerisch gegenüber der Bevölkerung, während es eine kleine Clique an Milliardären gibt. Diese Oligarchen repräsentieren gleichzeitig den Staat, wie auch die grossen Konzerne, welche die Autoritäten in unserem Land darstellen. Dieses Regime sollte also definitiv vernichtet werden, wenn wir für positive gesellschaftliche Veränderungen in dieser Region Partei ergreifen.
Selbstverständlich sind wir uns des Imperialismus’ der NATO Staaten und westlicher Länder bewusst. Wir sind diesbezüglich sehr kritisch und aufmerksam. Jedoch sind in unserer Region die am unmittelbarsten imperialistischen und tyrannischsten Unterdrücker Putins Truppen und der russische Imperialismus.
Was ebenfalls wichtig ist: Jede politische Kraft, die strukturiert und wichtig sein will in der Ukraine – jetzt, wie auch nach dem Krieg – muss aktiv auf die aktuelle Herausforderung, den Krieg, reagieren. Die ukrainische Bevölkerung hat in den ersten Stunden des Krieges ihre Entscheidung getroffen. Sie ist sehr vereint gegen diese Aggression und jede Kraft, die mit der Bevölkerung sein will muss mit der Bevölkerung in ihrem Kampf gegen die Besatzer und Aggressoren sein.
Für mich als russischen Anarchisten, aber auch für die vielen belarussischen Genoss:innen hier, ist dieser Krieg auch eine Chance, politisch-militärische Strukturen aufzubauen. Vielleicht habt ihr von dem Antiautoritären Platoon oder dem Widerstandskomitee gehört. Das Platoon ist zur Zeit inexistent, aber führte zur Bildung verschiedener Kollektive und kleineren Einheiten, die immer noch in der militärischen Sphäre operieren. Wir denken, diese Initiativen werden politisch-militärisch Früchte tragen, trotz der Kollaboration mit dem ukrainischen Staat. Denn trotz dieser Kollaboration können wir eine interne und politische Unabhängigkeit bewahren, um Strukturen zu bilden, die politisch autonom sind und eine gewisse Schlagkraft gegen Putins Regime haben. Diese können auch in zukünftigen Entwicklungen in Belarus, Russland und womöglich auch weiteren Ländern, die nicht im staatlichen Kontext der Ukraine stattfinden, eine autonome, unabhängige und revolutionäre Rolle spielen. Solche Strukturen zu bilden, ist eine wichtige Aufgabe für uns.
Dies waren kurz zusammengefasst die Gründe, weshalb wir uns aktiv und organisiert als Anarchist:innen und Revolutionär:innen an diesem Kampf beteiligen.
Vielen dank für eure Aufmerksamkeit und revolutionäre Grüsse an euch alle aus der Ostukkraine von der Front im Kampf gegen Putins Imperialismus.“